[setzt Artikel „Die Sexismus-Debatte aus rechtspolitischer Perspektive“ fort]
Doch wie kann das Instrument Recht dazu beitragen, geschlechterspezifische Diskriminierung zu bekämpfen? Recht als formale Norm ist durchaus ein probates Mittel, um soziale Normen zu etablieren. Unter anderem sind strafrechtliche Normen geeignet, um unerwünschtes Verhalten zu definieren und zu maßregeln.
Das Strafrecht ist die Ultima Ratio des Staates um ein Verhalten zu sanktionieren. Eine Kriminalstrafe ist öffentliche Missbilligung und Stigmatisierung. Jede Strafvollstreckung bedeutet einen schwerwiegenden Eingriff in die Grundrechte der oder des Verurteilten. Daher muss das Verhalten eine gewisse Qualität aufweisen, um von einem Straftatbestand erfasst zu werden.
Doch wie kann strafwürdiges Verhalten bestimmt werden? Grundsätzlich sind hier zwei Herangehensweisen denkbar. Mitunter wird auf die sogenannte herrschende Sozialmoral abgestellt. Ein unmoralisches und sittlich anstößiges Verhalten müsse deshalb strafrechtlich sanktioniert werden, weil es eine sozialschädliche Wirkung entfalte. Die Schwächen einer solchen Methode sind offensichtlich. Wie bestimmt man ein sogenanntes unmoralisches und sittlich anstößiges Verhalten? Und vor allem: Wer bestimmt das – etwa die CDU? Trotz dieser eindeutigen Untauglichkeit beruht das heutige Strafrecht zum Teil noch immer auf dieser Methode. So hat das Bundesverfassungsgericht erst vor Kurzem in einem blamablen Urteil – die Menschenwürde scheint wohl doch nicht für alle Menschen zu gelten – die Strafbarkeit von Inzest für verfassungsgemäß erklärt.
Besser ist daher ein anderer Ansatz: Da dem Strafrecht eine Schutzfunktion zukomme, dürfe ein Verhalten nur dann strafrechtlich sanktioniert werden, wenn mit der Strafe der Schutz eines bestimmten Rechtsguts (z.B. Leben, körperliche Unversehrtheit) bezweckt werde.
Mit diesem Ansatz lässt sich nun auch die Strafwürdigkeit von sexistischem Verhalten gut begründen. Sexistisches Verhalten stellt in der Regel einen Angriff auf die sexuelle Selbstbestimmung der Opfer dar. Bei körperlichen Übergriffen werden zudem die Rechtsgüter Leben und körperliche Unversehrtheit bedeutsam. Wenn nun Sexismus mit Mitteln des Strafrechts bekämpft werden soll, dann muss immer der Schutz eben dieser Rechtsgüter im Vordergrund stehen.
Doch wie sieht es in der Wirklichkeit aus, werden Frauen tatsächlich vor sexistischen Übergriffen durch das StGB geschützt?
Ob es nun Schludrigkeit oder doch Absicht des Gesetzgebers ist, soll an dieser Stelle nicht diskutiert werden. Tatsache ist jedenfalls, dass der Rechtsgüterschutz im deutschen Strafrecht alles sein kann – er ist nur nicht gerecht! Wenn eine Frau einen Mann als „sexistisches Arschloch“ bezeichnet, dann kann sie sich gewiss sein: Das Gericht kennt keine Gnade. Die Ehrdelikte schützen in den §§ 185 ff. StGB weitreichend die sogenannte Ehre. Für ein strafbares Verhalten reicht hier schon ein ausgestreckter Mittelfinger oder sogar ein Duzen(!) aus.
Und wie sieht es bei sexistischem Verhalten aus? Macht sich ein Mann strafbar, wenn er einer Frau gegen ihren Willen auf den Mund küsst oder sie begrapscht? Wohl kaum. Der Schutz der sexuellen Selbstbestimmung erfolgt in den §§ 174 ff. StGB nur äußerst fragmentarisch. Erforderlich für eine Strafbarkeit ist hier stets das Vorliegen eines qualifizierten Nötigungsmittels (z.B. Gewalt) – ein solches fehlt aber zumeist bei einem schnellen Kuss auf den Mund oder beim Begrapschen. Denkbar ist in solchen Fällen daher nur eine Bestrafung wegen einer Beleidigung. Mit einer sonderbar anmutenden Begründung bestreitet die h.M. aber in der Regel den ehrverletzenden Charakter sexistischen Verhaltens. Eine Ehrverletzung könne demnach nur dann angenommen werden, wenn in dem Verhalten des Täters zugleich eine bewusst herabsetzende Bewertung des Opfers zu sehen sei. Eine solche Demütigung des Opfers sei aber nicht schon mit jeder Verletzung des Schamgefühls und der Intimsphäre gegeben. Vielmehr müsse der Täter zum Ausdruck bringen, dass sein Opfer „einen die Ehre mindernden Mangel“ aufweise – und genau das könne grundsätzlich nicht angenommen werden.
Diese klugen Jurist_innen wollen uns also sagen: Ein Mann will nur seinem Geschlechtstrieb nachkommen; wenn er sich eine Frau als Opfer aussucht, dann doch nur, weil die Frau ihm so gut gefällt. Dass es dem Mann in den meisten Fällen gerade auch darum geht, seine scheinbare männliche Überlegenheit gegenüber der Frau zu demonstrieren, und ihr damit zu erklären, dass sie ein Mensch minderen Wertes sei, scheint für diese Jurist_innen ohne Belang zu sein. Überhaupt scheint die schlüssige Urteilsbegründung für viele Richter_innen eher von nebensächlicher Bedeutung zu sein. Oder wie lässt es sich erklären, dass es den Gerichten noch vor einiger Zeit überhaupt keine Schwierigkeiten bereitete, eine sexistische Belästigung unter die Definition der Ehrverletzung zu subsumieren?
Ehre? Nein, danke!
Neben dieser wenig überzeugenden Wertung ist auch schon das Rechtsgut Ehre generell abzulehnen, da es sich hierbei um einen Begriff handelt, der – wie wohl kein zweiter – über Jahrhunderte hinweg als Sinnbild für männliche Omnipotenz und weibliche Unterwerfung stand – und genau dafür steht er auch noch heute. Dass der Begriff der Ehre – Definitionen gibt es viele, allein sie können alle nicht überzeugen – auch schon aufgrund seiner Unbestimmtheit in Hinblick auf Art. 103 II GG niemals ernsthaft als Rechtsgut eines Straftatbestands in Frage kommen kann (auch das Bundesverfassungsgericht sollte dies wissen!), ist dabei nur ein Aspekt. Aus juristischer Perspektive wäre es wohl angebracht, auf diese Frage in einem sauberen, umfassenden Gutachten oder Urteil näher einzugehen – aus feministischer Perspektive wäre es dagegen mehr als unangebracht, es wäre schlichtweg zynisch, sich an dieser Stelle mit derlei juristischen Spitzfindigkeiten auseinanderzusetzen.
Die „Ehre“ ist nunmehr ein Begriff, der nur noch in den leeren Köpfen einiger Burschen und religiöser Fundamentalisten herumschwirrt. Es ist die Ehre des Mannes, in deren Namen getötet wird, in deren Namen Frauen, die sich nach einem Leben sehnen, das mehr zu bieten hat als Unterdrückung und Gewalt, ermordet werden, weil sie entgegen dem Ehrenkodex der Familie ihre Sexualität ausleben wollen. Es ist die Ehre, die einen Mann davor schützt, als „sexistisches Arschloch“ bezeichnet zu werden, aber nicht die Frau davor, dass ihr der Mann unter den Rock fasst.
Grundsätzlich ist es aber ohnehin sehr schwierig, mit juristischen Tatbeständen der Vielfalt sozialer Beziehungen gerecht zu werden.
Die sexuelle Selbstbestimmung muss geschützt werden
Strafe bedeutet Repression, sie bedeutet aber auch Abschreckung. Auf keinen Fall kann Strafe aber etwas leisten, was Aufgabe der gesamten Gesellschaft ist, nämlich Menschen zu einem toleranten Miteinander zu erziehen. Wenn wir uns nun die Frage stellen, wie der Staat ein strafrechtliches Sanktionssystem gestalten muss, damit Menschen vor sexistischen Verhaltensweisen besser geschützt werden, dann darf also ein Gesichtspunkt nie vergessen werden: Eine Strafe kann möglicherweise die Sicherheit für die Frauen verbessern, eine Veränderung von sexistischen Strukturen und Geisteshaltungen wird die Strafe allein dagegen nie erreichen. Dies soll im Folgenden auch kein Plädoyer für ein härteres Strafrecht sein; nichts liegt uns ferner, als politische Ziele mittels staatlicher Repression und Abschreckung durchsetzen zu wollen. Wenn nun aber der Staat seine gesellschaftlichen Vorstellungen den Bürger_innen durch die Pädagogik des Strafrechts vermitteln will, dann sollte zumindest dieses strafrechtliche Konzept in sich angemessen sein – zeigt es doch, welche Interessen der Staat schützen will und welche nicht.
Doch wie müsste das Strafrecht gestaltet sein, damit zumindest ein wirksamer Schutz vor sexistischen Übergriffen erreicht werden könnte? Denkbar wäre es, jede Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung unter Strafe zu stellen. Anders als bei dem überaus nebulösen Ehrbegriff würde das Gesetz mit der sexuellen Selbstbestimmung ein klar definierbares Schutzgut benennen, zumal sich die sexuelle Selbstbestimmung schon im Rahmen der §§ 174 ff. StGB als hinreichend bestimmtes Rechtsgut erwiesen hat. Im Gegensatz zu der derzeitigen Regelung müsste die sexuelle Selbstbestimmung aber vollumfänglich geschützt werden. Es ist kein Grund ersichtlich, weshalb es für die Strafbarkeit noch auf ein qualifiziertes Nötigungsmittel ankommen soll. Sexistische Übergriffe – gleich welcher Art – dürfen niemals folgenlos bleiben! Wenn der Staat schon Verletzungen des Eigentums und Vermögens umfangreich sanktioniert, dann muss der Schutz der sexuellen Selbstbestimmung erst recht Aufgabe staatlichen Handelns sein. Eine Wertung, die die aus der Menschenwürde und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht abgeleitete sexuelle Selbstbestimmung nicht hinreichend achtet, würde die Legitimation des Staates in Frage stellen.
Die Frau braucht dem Mann nicht zu weichen
Im Strafrecht ist das effektivste Instrument gegen sexistische Belästigungen zweifelsohne die Notwehr. Auf keinen Fall darf hierbei aber unterschätzt werden, welche großen Schwierigkeiten die Zurwehrsetzung in einer Konfliktsituation bereiten kann. Ein männlicher Täter wird sich oftmals ein Opfer aussuchen, das ihm körperlich unterlegen ist. Auch ist der Verlauf einer Konfliktsituation oft nur sehr schwer vorhersehbar, so dass ein Opfer die tatsächliche Bedrohung möglicherweise erst spät erkennt. Typischerweise ereignen sich sexistische Übergriffe auch in einem Abhängigkeitsverhältnis. Soll die Arbeitnehmerin dem Arbeitgeber nun eine runterhauen (verdient hätte er es!) und so eine Kündigung riskieren? Studien aus der psychologischen Forschung haben zudem gezeigt, dass Frauen ihr eigenes Verhalten in einer solchen Situation oftmals zu optimistisch einschätzen. Während bei einer hypothetischen Befragung viele Frauen sich noch sicher waren, dass sie sich im Ernstfall zur Wehr setzen würden, leisteten in der Realität nur noch die wenigsten Frauen Widerstand.
Gleichwohl ist die rechtliche Wertung, die durch das Instrument der Notwehr zum Ausdruck kommt, zu begrüßen. Hier gilt der Grundsatz: „Das Recht braucht dem Unrecht nicht zu weichen“. Für eine Frau bedeutet dies also, dass sie dem Konflikt nicht aus dem Weg gehen muss, wenn ein Chauvinist sie blöd anmacht. Doch gerade im Bereich der Notwehr liegen oft nur Nuancen zwischen Strafe und Rechtfertigung. Eine Verteidigungshandlung ist nur dann durch Notwehr gerechtfertigt, wenn sich das Opfer auch tatsächlich in einer Notwehrlage befindet. Diese erfordert aber keinen strafbaren Angriff durch den Täter; hier reicht es schon aus, wenn der Täter beispielsweise das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Opfers verletzt. Allerdings muss der Angriff des Täters unmittelbar bevorstehen oder noch andauern – eine Ohrfeige wäre daher nicht mehr durch Notwehr gerechtfertigt, wenn der Mann seine sexistische Bemerkung schon ausgesprochen und beendet hat. Ferner muss die Notwehrhandlung auch erforderlich sein, das heißt, dem Opfer darf kein milderes und gleich wirksames Mittel zur Verfügung stehen. Insbesondere wenn der Mann der Frau körperlich überlegen ist, wird es im Vergleich zum Pfefferspray in der Regel kein milderes und gleich wirksames Verteidigungsmittel geben – der Einsatz eines Pfeffersprays sollte, wenn es die Situation zulässt, aber zunächst angedroht werden. Im Übrigen gilt für alle Notwehrhandlungen: Das Opfer muss sich auch tatsächlich verteidigen wollen. Nicht etwa die Verletzung des Angreifers, sondern die Verteidigung der eigenen Rechte muss das primäre Motiv der Notwehrhandlung sein. Weiß die Frau, dass der Macker im Juridicum sie wieder belästigen will, dann sollte sie ihn daher nicht deshalb aufsuchen, weil sie ihm im Rahmen der „Verteidigung“ so gerne eine gründliche Abreibung verpassen möchte.
Bei all diesen rechtlichen Problemen darf aber nicht übersehen werden, dass sich die meisten Frauen bei einem sexistischen Übergriff keine Gedanken über die Grenzen der Notwehr bzw. des Notwehrexzesses machen wollen. Insofern ist es auch verständlich, wenn sich eine Frau auf den Standpunkt stellt, dass angemessener Widerstand gegen Sexismus – unabhängig von der juristischen Bewertung – stets berechtigt ist.
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